Friedensnobelpreis 1904: Institut für Völkerrecht

Friedensnobelpreis 1904: Institut für Völkerrecht
Friedensnobelpreis 1904: Institut für Völkerrecht
 
Das Institut erhielt den Nobelpreis für breit gefächerte Forschungsarbeiten auf dem Gebiet des Völkerrechts sowie für seine Bemühungen, den Weltfrieden mithilfe von Recht und Gerechtigkeit zu sichern.
 
 
Institut de Droit International, in Gent (Ostflandern) 1873 gegründet; 1874 erste Hauptversammlung in Genf (Sitz des Instituts), 1880 Publikation des Oxford Manuals, eines Handbuchs zum Kriegsvölkerrecht, 1899/1907 Haager Friedenskonferenzen, 1929 Resolution zum Schutz der Menschenrechte, 1947 Gründung einer Organisation zur Finanzierung des Instituts, 1963 Resolution zur friedlichen Nutzung des Weltraums.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Adjukation, Debellation, Nacheile, Retorsion, Servitut — dies sind weithin unbekannte Begriffe aus einem Zweig der Rechtswissenschaften, der sich hauptsächlich mit den Rechten und Pflichten der Staaten, dem Internationalen Recht oder Völkerrecht, beschäftigt. Seine historischen Wurzeln reichen mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurück. Zur Disziplin, die auch spürbare Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Staaten in Friedens- wie in Kriegszeiten hat, ist das Internationale Recht jedoch erst mit der Entwicklung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert geworden. Seit dieser Zeit wird versucht, eine Rechtsordnung zu schaffen, auf deren Grundlage Streitigkeiten zwischen Staaten geschlichtet und so Kriege verhindert werden können.
 
Das Institut de Droit International hat sich sowohl in der Forschungs- wie in der Friedensarbeit einen ausgezeichneten Ruf erworben: Es ist weltweit die älteste Institution dieser Art, erhielt als erste Gesellschaft den Friedensnobelpreis und ist bis heute die erste Autorität auf dem Gebiet des Internationalen Rechts. Keine andere Quelle wird so oft zitiert wie das »Annuaire de l'Institut de Droit International«, das Jahrbuch, in dem die Sitzungsprotokolle veröffentlicht werden.
 
Der Vorschlag zur Gründung einer solchen Institution kam 1861 aus den USA von dem deutschstämmigen Philosophen und Juristen Francis (Franz) Lieber, der damals einen Kongress anregte, auf dem über Wege zur Lösung internationaler Konflikte beraten werden sollte. Zehn Jahre später, nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870/71), wandte er sich mit seinem Vorschlag an Baron Gustave Rolin-Jacquemyns, den Mitherausgeber der ersten Fachzeitschrift zu Fragen des Internationalen Rechts. Der französische Völkerrechtler organisierte im September 1873 eine Konferenz, an der elf namhafte Juristen aus Argentinien, Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Russland, der Schweiz und den USA teilnahmen. Sie gründeten im selben Monat im belgischen Gent das Institut de Droit International, das heute in Genf (einschließlich des 1947 in Lausanne eingerichteten Finanzressorts) seinen Sitz hat. Zum ersten Vorsitzenden wählten die Gründungsmitglieder den Italiener Pasquale Stanislao Mancini, ab 1870 Ehrendoktor der Universität Heidelberg, die bis heute mit dem Universitätsinstitut sowie dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zu den Forschungszentren des Internationalen Rechts gehört und mehrmals den Präsidenten des Instituts gestellt hat.
 
 Iustitia et Pace
 
»Recht und Frieden« lautet der Leitspruch des Institut de Droit International. Die Vereinigung hat sich selbst eine ganze Reihe von Aufgaben gestellt: die Rechtsordnungen in den Ländern der Erde vergleichend zu untersuchen, in der Diskussion allgemeine Grundsätze des Völkerrechts zu formulieren, die Ausbildung von Juristen zu fördern, zur Entwicklung von Gesellschaften beizutragen, in denen die Gesetze respektiert werden und so den inneren und äußeren Frieden zu bewahren, in Streitfällen fachkundige Hilfestellung zu geben — allerdings ohne Partei zu ergreifen.
 
In den Jahrzehnten zwischen der Gründung des Instituts und der Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis beschäftigte sich die Vereinigung von Völkerrechtlern mit den verschiedensten Aspekten des Internationalen Rechts. Sie legte beispielsweise 1880 mit dem nach dem Tagungsort benannten »Oxford Manual« einen Entwurf vor, der bei der 1899 in Den Haag veranstalteten ersten Friedenskonferenz zur Grundlage der Haager Landkriegsordnung werden sollte, und leistete Pionierarbeit für die Einrichtung des Ständigen Haager Gerichtshofs. Nicht weniger wichtig waren die Anregungen und Entschließungen zu Fragen des internationalen Rechtsalltags, etwa zur Auslieferung von Straftätern, dem Schutz der untermeerischen Kabelverbindungen zwischen den Kontinenten (1884) oder der Freiheit der Seewege (1888 mit der Suezkanal-Konvention).
 
 Die Weltakademie des Internationalen Rechts
 
Es gibt nur wenige internationale Vereinigungen, die auf eine so lange Geschichte zurückblicken können wie das Institut de Droit International. Sicherlich liegt dies zum Teil daran, dass sich das Arbeitsfeld der Völkerrechtler seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erheblich erweitert hat; man benötigt Experten, die sich in den komplizierten Rechtsordnungen der mittlerweile fast 200 Staaten der Erde auskennen, darüber hinaus hat sich in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe neuer, bis dahin völlig unbekannter Konfliktfelder entwickelt. Zum Beispiel im Zusammenhang mit Flugzeugentführungen oder der friedlichen Nutzung des Weltraums, zu der das Institut bereits 1963, wenige Jahre nach dem Start des ersten Satelliten, eine Resolution veröffentlichte. Zunehmend werden die Beziehungen zwischen den Staaten auch durch den Streit über die Nutzung der natürlichen Ressourcen belastet (beispielsweise durch Bewässerungsprojekte an grenzüberschreitenden Strömen) oder noch mehr durch die Umweltverschmutzung, die an keiner Staatsgrenze Halt macht, sondern wie das Beispiel der Versauerung von Seen in Nordeuropa und Kanada zeigt, oft in den Nachbarländern die stärksten Schäden hinterlässt. Gerade über diese Problematik haben die Mitglieder des Instituts für Internationales Recht wiederholt beraten.
 
Die bemerkenswerte Langlebigkeit des Instituts belegt aber ebenso, dass sich die Grundsätze, nach denen es arbeitet, bewährt haben. Großen Wert wird auf die Unabhängigkeit von staatlichen Stellen gelegt. Das Institut finanziert sich allein aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Während sich internationale Vereinigungen im Lauf der Zeit fast zwangsläufig zu großen, unüberschaubaren und kaum noch lenkbaren Organisationen entwickeln, ist das Institut de Droit International aufgrund seiner Satzung ein kleines Institut geblieben. Höchstens 132 Rechtsexperten sind zugelassen; sie kommen aus fast 50 Staaten der Erde, und ein komplizierter Verteilungsschlüssel sorgt dafür, dass innerhalb der »Weltakademie des Internationalen Rechts« die Balance zwischen den Vertretern der verschiedenen Ländergruppen gewahrt bleibt.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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